Stellungnahme

Zur Diskussion über #Tradition/en in den Medien

Univ. Prof. Dr. Klaus Schönberger (bis 2024, Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft und Volkskunde) vom Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt / Celovec äußert sich aus einer historisch-kulturwissenschaftlichen Perspektive zum medial hergestellten Zerrbild über #Tradition/en und #Bräuche. (#Klaasohm #Krampus #Volkskultur)
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Univ. Prof. Dr. Klaus Schönberger
Institut für Kulturanalyse der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt / Celovec
Professor für Kulturanthropologie 
(2019-2024 Vorsitzender der Österreichischen Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft und Volkskunde)

8.12.2024
 
Zur Diskussion über #Tradition/en in den Medien
(#Klaasohm #Krampus #Volkskultur)

Die gegenwärtige Diskussion über ‚Tradition‘ beinhaltet – kulturwissenschaftlich gesprochen – allerhand Unwissen und ist in vielerlei Hinsicht Unfug

Es gibt keine ‚ursprüngliche‘ ‚Tradition‘ in einem historisch begründbaren Sinn. Alle diesen Bräuchen sind in ihrem historischen Verlauf vielfachen Bearbeitungen und Aneignungen ausgesetzt gewesen. Viele gegenwärtig als ‚Tradition‘ reklamierten Bräuche sind also das Ergebnis des Begehrens der jeweiligen Gegenwart. 
 
Aus diesem Grund muss man auch nichts ‚Ursprüngliches‘ erhalten, sondern kann von der Gegenwart ausgegangen werden: Bräuche wurden im Laufe der historischen Entwicklung entsprechend jeweils aktuellen Bedürfnissen angepasst und verändert. 
 
Dass diese kulturellen Artefakte ihre Gestalt ändern und sich anpassen, ist ein normaler (historischer) Vorgang. Auf einem anderen Blatt steht, dass die sogenannten Brauchausüber*innen diesen Erzählungen über ‚Tradition‘ offenbar bedürfen und solcherlei Fiktionen zur Grundlage für ihr Handeln machen. 
 
‚Tradition‘ und ‚Volkskultur‘ sind – historisch gesprochen – das Resultat zivilisationskritischer und kulturpessimistischer bürgerlicher (städtischer) Intellektueller, die sich eine romantisierende Idylle von ländlichen Gesellschaften erfunden haben. In der Folge ist die sogenannte Volkskultur in die interpretativen Fänge von Brauchtums-Ideologen geraten und ihre Deutungen werden von ‚den‘ Medien kritiklos weiterverbreitet. Sie bedienen heute insbesondere das Begehren von (g)lokalistischer Identifikation und verstärkten Anrufungen einer vermeintlich gesicherten ‚Tradition‘ angesichts krisenhafter Erfahrungen. Inzwischen habe sich zahlreiche Bewohner*innen ländlicher Gesellschaften diese Zerrbilder über sich zu eigen gemacht und glauben daran, dass sie das kulturell ausmache.

Es spricht nichts dagegen, wenn es genug Bewohner*innen gibt, denen die Ausübung von Bräuchen, in der von ihnen angenommen Form Spaß und Vergnügen bereiten. Aber das war es dann auch schon. Die Aspekte Gewalt und Ausgrenzung oder Disziplinierung subalterner Gruppen sind dann allein vor diesem Hintergrund zu beurteilen. Dazu benötigen wir nicht Begriffe wie 'Volk', 'Volkskultur' oder 'Tradition'.

Gewalt – gegen wen auch immer – ist ergo nichts, was im Zusammenhang von Bräuchen und 'Volkskultur' oder aufgrund einer behaupteten ‚Tradition‘ bewahrt oder verteidigt werden muss: Bräuche sind – kulturwissenschaftlich argumentiert – überwiegend permanente (Neu-)Erfindungen für die jeweilige Gegenwart. 

Sprich, wenn heute Gewalt gegen Kinder und Frauen oder andere gesellschaftliche Gruppen als ‚Tradition‘ reklamiert wird, ist dieses Insistieren Ausdruck gegenwärtiger Bedürfnisse und obliegt der zivilgesellschaftlichen Kritik, die auf der Grundlage der jeweilig aktuell vereinbarten Normen erfolgen wird.

Das ist ebenso Untersuchungsgegenstand der Empirischen Kulturwissenschaft wie der Gestaltwandel populärer Kultur/en und das unterscheidet eine kulturwissenschaftliche Argumentation von der historischen Volkskunde. 

Österreichische Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft und Volkskunde

Institut für Geschichtswissenschaften und Europäische Ethnologie
Universität Innsbruck
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6020 Innsbruck

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