Geboren in Wien am 19. Februar 1942 wuchs Olaf Bockhorn, außer in Linz, in frühen Monaten auch im Osttiroler Virgental auf, wo er sich später, und zwar in Welzelach (Gemeinde Virgen), ein Tusculum schaffen konnte, in dem er immer wieder gerne zu Winter- und Sommer–urlauben weilte, in der näheren und ferneren Umgebung auch forschte, und dabei weitere, ursprünglich dort ansässige Kolleg:innen unwissentlich zur Volkskunde/Empirischen Kulturwissenschaft brachte. Bockhorns Vater war vier Tage vor seiner Geburt als Wehrmachtssoldat gefallen.
Nach der Matura 1960 begann er ein Studium der Medizin an der Universität Wien, das er allerdings zugunsten von Germanistik und Anglistik mit dem Ziel des Lehramtes abbrach, bevor es ihn 1964 endgültig, und nicht zuletzt durch Richard Wolframs charismatische Vorlesung für Lehramtskandidaten, ähnlich übrigens wie seinen Kollegen Helmut Paul Fielhauer schon zuvor, in die Volkskunde verschlug. Es musste wohl so kommen und entsprach dem Geist der „68er“, dass sowohl Fielhauer als auch Bockhorn später zu Wolframs scharfen Kritikern werden sollten.
Teilweise noch ausgebildet bei Richard Wolfram, dem er auch assistierte, aber auch angeregt von den Forschungen des ungarischen Emigranten Karoly Gaál dissertierte Bockhorn 1971 zu „Die Fahrzeuge im Mühlviertel. Geräte- und Wirtschaftsformänderung“ (Phil. Diss. Univ. Wien, 2 Bde).
1969-1970 war er am „Institut für Vergleichende Verhaltensforschung“ des Otto Koenig am Wilhelminenberg tätig, dessen Forschungsergebnisse, insbesondere zu Osttiroler Maskenbräuchen, er später scharf kritisieren sollte. Zum Broterwerb während seiner Studienzeit war Bockhorn auch als Journalist tätig.
Ab 1970 (zuerst als wiss. Hilfskraft) bis 2003 war Bockhorn am Wiener Institut für Europäische Ethnologie (damals noch: Institut für Volkskunde) beschäftigt, wobei er noch viele Jahre nach seiner Pensionierung weiterhin Lehrveranstaltungen anbot und Studierende sowie Graduierte betreute.
Zunehmend kam Bockhorn in den Bannkreis des nur fünf Jahre älteren ersten Assistenten Wolframs und späteren außerordentlichen Professors Helmut Paul Fielhauer, der allerdings schon mit 50 Jahren, 1987 sterben sollte. Fielhauer hatte, nicht zuletzt angeregt von Tübinger Kontakten, einen ganz neuen, revolutionären und von linkem politischem Engagement geprägten Kurs der Volkskunde eingeschlagen, der bei der älteren Generation auf kein Verständnis stieß. Gemeinsam mit Fielhauer, der die Kommissionsgründung 1979 angeregt hatte, war Bockhorn in der „Kommission für Arbeiterkultur“ (heute: „Kommission Arbeitskulturen“) der Deutschen Gesellschaft für Empirische Kulturforschung (= DGEKW, damals noch „Deutsche Gesellschaft für Volkskunde“) aktiv, organisierte Fachtagungen wie z. B. die erste 1980 in Wien oder die vierte 1984 in Steyr mit und erweiterte so den Forschungshorizont einer zuvor stark auf Bauern und ländliche Lebensverhältnisse fixierten Volkskunde.
Bockhorn folgte Fielhauers Spuren, wollte sein Andenken über die Arbeit wach halten und begründete nach dessen Tod den „Helmut-Paul-Fielhauer-Freundeskreis“, der in der Reihe „Beiträge zur Volkskunde und Kulturanalyse“, gemeinsam mit Gertraud Liesenfeld und Reinhard Johler als Herausgeber:innen, wegweisende Sammelbände zu einer neu gedachten Volkskunde als „demokratischer Kulturgeschichtsschreibung“ veröffentlichte.
1986 habilitierte sich Olaf Bockhorn zu „Arbeit-Haus-Gerät im Burgenland. Beiträge zur bäuerlichen Kultur“. Weitere Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeit waren Ethnizität und Minderheiten, Arbeit und Wirtschaft und Aspekte einer Kulturgeschichte machtferner Milieus.
In späteren Jahren sollten den ao.Universitäts-Professor, dessen Expertise auch jenseits der Grenzen gefragt war, dann Lehrstuhlvertretungen z. B. nach Bayreuth, Regensburg oder Bamberg führen.
Zu Zeiten des „Eisernen Vorhanges“ und rigider Begegnungsmöglichkeiten für Wissenschaftler:innen aus Ost und West setzte sich Olaf Bockhorn intensiv für die internationale Tagungsreihe „Ethnographia Pannonica“ und die detailgenaue Beforschung eines Kulturraumes diesseits und jenseits der Grenzen ein, wobei es ihm auch um den Austausch mit Kolleg:innen aus Ungarn oder der Tschechoslowakei ging.
Insgesamt betreute Olaf Bockhorn als Universitätslehrer 54 Dissertation und 128 Magisterarbeiten. Er hat durch seine Lehrveranstaltungen, durch seine vielen Vorträge und Zusatzprojekte zu einer „neuen Sicht, zu einer neuen Stellung des Faches innerhalb der Kulturwissenschaften“ (Grieshofer 2013, 24) beigetragen.
Ein sehr wichtiges Themenfeld war für Olaf Bockhorn die Fach- und Institutionen-, sowie die Wissensgeschichte unserer Disziplin in Österreich und darüber hinaus. Nicht zuletzt wohl auch deshalb, da die wissenschaftliche Lehrer:innengeneration die teils „verschlungenen“, politisch willfährigen und instrumentalisierten Wege ihrer eigenen Karrieren im NS-Regime eher virtuos beschwiegen, als aufarbeiteten. Gemeinsam mit den deutschen Kollegen Wolfgang Jacobeit und Hannjost Lixfeld und dem amerikanischen Volkskundler und Sprachwissenschaftler James R. Dow konnte Bockhorn den fachgeschichtlichen Sammelband „Völkische Wissenschaft. Geschichte und Tendenzen der deutschen und österreichischen Volkskunde in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts“, den zentralen fachhistorischen Band unserer Disziplin, 1994 veröffentlichen. In diesem publizierte er selbst mehrere Aufsätze, die kristallklar, quellengesättigt und scharf, dabei aber immer mit feiner Ironie verfasst, die „Quellströme“ insbesondere der Wiener Fachentwicklung zwischen „Ritualen, Mythen und Lebenskreisen“ ausleuchten. 2010 sollte Bockhorn noch einen Beitrag zur „Angelegenheit Dr. Wolfram“ in einem Sammelband zu den Geisteswissenschaften im Nationalsozialismus nachlegen.
Olaf Bockhorn war seit 1967 mit der Volkskundlerin Mag.a Dr.in Elisabeth Bockhorn, geborene Hammer, gest. 2013, verheiratet, die er während des Studiums kennengelernt hatte. Gemeinsam publizierten die beiden viele Artikel, wie z. B. zur biografischen Methode, zu Ethnizität oder zu Bräuchen, und waren gemeinsam als Herausgeber:innen tätig.
Auch ihre Tochter Petra studierte Volkskunde, und gemeinsam bildete die Familie eine Zeit lang die Autor:innengemeinschaft „POEMuseums – Kultur- und Wissenschaftskonzeptionen“, die Beiträge zu kulturwissenschaftlichen Themenstellungen im Kollektiv verfasste.
Als vielseitig Interessierter und als ein Wissenschaftler, der nicht nur vom Schreibtisch oder Hörsaal agierte, engagierte sich Olaf Bockhorn auch im „Österreichischer Fachverband für Volkskunde“ (gegr. 1958 im Salzburger Saalfelden, heute: Österreichische Gesellschaft für Empirische Kulturwissenschaft und Volkskunde), der wichtigen Berufsorganisation für empirische Kulturwissenschaftler:innen in Österreich. Bockhorn war hier u.a. schon von 1974-1977 Schriftführer, 1980 wurde er in den wiss. Beirat des Fachverbandes gewählt. Auch in den Ausschuss des „Vereines für Volkskunde“ in Wien wurde er als Vertreter des Fachverbandes kooptiert. Olaf Bockhorn setzte sich immer für eine gute Kooperation der beiden großen Verbands-Player in Österreich ein. Zwischen 2001 und 2009 war Olaf Bockhorn dann Vorsitzender des Fachverbandes und blieb auch nach den aktiven Vorsitzjahren stets am Geschehen im Verband interessiert und bei den Fachtagungen anwesend. So „rettete“ er 2016-2019 als „Übergangs-Vorsitzender“ nach einer turbulenten Sitzung in Graz den Fortbestand der Gesellschaft und versuchte erfolgreich, gemeinsam mit alten und jungen Mitstreiter:innen, den damaligen Fachverband wieder in ruhigere und produktive Gewässer zu steuern.
Olaf Bockhorn verfolgte Publikationsprojekte mit besonderer Zähigkeit, in den ersten Jahren v.a. neben Professor Károly Gaál, so dass interessante und vielleicht zuerst wenig beachtete Dorfstudien nach Jahren denn doch das Licht der Druckerschwärze erblickten. Besonders sei hier die E-Book-Publikation „Volkskunde in Österreich. Bausteine zu Geschichte, Methoden und Themenfelder einer Ethnologia Austriaca“ erwähnt, die bereits in den 1990ern konzipiert worden war und 2011, nach etlichen Hürden, endlich erscheinen konnte. Sein großes Wissen in den Sektoren Brauch- und Geräteforschung setzte Bockhorn auch immer wieder in informativen Lexikon-Artikeln, z. B. jenen für das „Österreich-Lexikon“ um, das heute, im Internet in die Austria-Forum-Informationsplattform integriert wurde; seine personengeschichtlichen Interessen flossen in Artikel für das „Österreichische Biografische Lexikon“ (= ÖBL) ein.
Aus seinen vielen dorfmonografischen und gerätekundlichen Aufsätzen, darunter die erwähnten Studien des Wiener Institutes im pannonischen Grenzraum, einmal auch für den „Österreichischen Volkskundeatlas“ (ÖVA), wo er den Kommentar zur Karte „Dreschen – Formen des Dreschflegels“ verfasste, entstand wohl auch sein großes Interesse für die Orts- und Regionalmuseen. Er setzte sich als Leiter der Institutsabteilung für „Volkskundliche Praxis“ aber auch für die bessere und vor allem praxisnahe museologische Ausbildung von Studierenden ein und veranstaltete z. B. Museumskurse in Spittal/Drau, oder organisierte immer wieder Praktika in Niederösterreichischen Museen. Gemeinsam mit Hon.-Prof. Hermann Steininger verfasste Bockhorn insgesamt vier Führer zu den Orts- und Regionalmuseen Niederösterreichs sowie einen Band zu fachspezifischen Sammlungen und Museen in Österreich.
Mehrere (Landes)-Ausstellungen in Oberösterreich, besonders im Mühlviertel, aber auch im Burgenland, seinem dritten großen österreichischen Wirkungsgebiet, sowie einige Museen, gestaltete Olaf Bockhorn zumindest mit.
Wohl angestoßen von Kolleg:innen wie Elfriede Lies und die Arbeiten Otto Koenigs begann sich Olaf Bockhorn auch für den volkskundlichen Film zu interessieren. Mit Lies, alleine und öfter noch gemeinsam mit Lisl Nopp als wissenschaftliche Autor:innen realisierte er v.a. in den 1980er- und 1990er-Jahren etliche Projekte für das „Österreichische Bundesinstitut für den Wissenschaftlichen Film“, so etwa zu Faschingsbräuchen, v.a. im Steirischen Ausseerland, zu wirtschaftlichen Themen wie dem Sichelschmieden oder der Erzeugung von Strohhüten, oder mehrfach zur Arbeit von Sennerinnen (in Osttirol). Daher nimmt es nicht wunder, dass Bockhorn für die filmischen Projekte eines Richard Wolfram, insbesondere jene für die „Kulturkommission Südtirol“ des SS-„Ahnenerbes“ kritische Worte übrig hatte.
Somit entstand über die Jahrzehnte ein wissenschaftliches Gesamtwerk von beachtlicher Breite, das noch verhaftet im alten „Kanon“ seinen Ausgang genommen und all die beachtlichen Wandlungen der Fachauffassung der letzten Jahrzehnte begleitet, umgesetzt und geprägt hatte.
Olaf Bockhorn war überzeugter Raucher, war gesellig und er schätzte neben der wissenschaftlichen Diskussion auch den freundschaftlich-kollegialen Austausch bei einem guten Getränk und einer Zigarillo sehr. Daneben war er aber auch begeisterter Bergsteiger und Schitourengeher – wie viele Kolleg:innen waren mit ihm persönlich z. B. am Großvenediger oder einem anderen Gipfel?
Mit einer einprägsamen Stimme war Olaf Bockhorn begabt, die er als markantes Vortragsorgan nutzen konnte, genauso wie mit einer spitzen Feder, wenn sie ihm sachlich begründet und notwendig erschien. Olaf Bockhorn war, vor allem in seiner Spätzeit, kein Avantgardist. Das zeigt eine humorvoll-reflektive Äußerung in einer Laudatio 2018 für seinen langjährigen Kollegen und Freund Helmut Eberhart in Graz, in der er meinte, seine Kolleg:innen und er hätten die alte Volkskunde „fast schon zu gut“ reformiert. In den letzten Jahren war er mit vielen abermaligen Reformen und ihm als allzu modisch verstandenen Umbenennungen nicht (mehr) einverstanden, verstand sich auch nicht als „Europäischer Ethnologe“. Seine ihm gewidmete Festschrift von 2013 trägt daher nicht umsonst den Titel „Volkskunde aus der Mitte“.
Ungeachtet dessen hat er neben Helmut Fielhauer vielleicht wie kein anderer an der Weiterentwicklung der Volkskunde zu einer sozialwissenschaftlich argumentierenden Alltagskulturwissenschaft in Österreich beigetragen.
Michael J. Greger, Salzburg, 24.10.2023